Auf meiner Recherchetour rund um eine wertschätzende Unternehmenskultur bin ich Klaus Kobjoll begegnet. Klaus Kobjoll baute das erfolgreiche Hotel Schindlerhof  bei Nürnberg auf. Für ihn sind Unternehmen Spielplätze für Erwachsene. Sein Spiel: Eine Talentschmiede und gleichzeitig eine Pilgerstätte für wahre Herzlichkeit aufzubauen.

Lieber Herr Kobjoll, Sie haben aktiv die Kultur in Ihrem Hause gestaltet. Hatten Sie vorher eine andere Kultur?

Klaus Kobjoll: „Wir haben 1984 eröffnet. Wenn sie neu anfangen, haben sie zunächst andere Sorgen, als sich über kollektives Bewusstsein zu unterhalten. Unternehmenskultur ist ja nur ein anderes Wort für kollektives Bewusstsein.

Wir haben aber schon 1985, also ein Jahr nach Eröffnung, die erste Grundlage für die Gestaltung unserer Kultur gelegt. Der erste Schritt, das ist das Unternehmensleitbild. Zunächst ist das nur Design, nur auf dem Papier. Dann müssen sie es schaffen, ihre Vorstellungen vom Kopf ins Herz zu bringen.

Unser Leitbild haben wir regelmäßig überarbeitet, alle 5-6 Jahre. Irgendwann haben wir das ganze reduziert. Wir haben sozusagen diese 2L-Kaffeekanne auf einen Espresso reduziert. Der Espresso passt auf eine Visitenkarte und zeigt unsere Vision, unsere Werte und unsere Strategie.

Diese Karte bekommt jeder neue Mitarbeiter am ersten Arbeitstag. Ich kann jeden nach der ersten Woche fragen: Was ist unsere Vision? Was sind unsere Werte? Wie wollen wir dahin kommen? Und alle kennen die Antwort. Das hat uns enorm gepusht.“

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Was haben Sie unternommen, um dieses Leitbild auch mit Leben zu füllen?

Klaus Kobjoll: „Nun, ich muss es vom Design zum Sein bringen. Ich muss es aus der Kopfebene in die Herzensebene bringen. Das heißt, ich muss es leben. Es hat ungefähr 5 Jahre gedauert, bis ich gespürt habe: Jetzt fängt es an. Jetzt erwacht es zum Leben und kommt zum Schwingen. Und da muss man natürlich fairer Weise sagen, in großen Organisationen kann das auch 10 oder mehr Jahre dauern. Wir haben 70 Mitarbeiter, davon 15 bis 20 Auszubildende. Und bei uns waren es fünf Jahre bis es zum ersten Mal spürbar wurde.

Ein wichtiger Schritt war: Ich habe die Mitarbeiter danach ausgesucht, dass sie zu unserer Spielkultur passen. Unsere Unternehmenskultur ist eine Spielkultur.

Wir haben immer unser eigenes Wording. Also es gibt kein Personal, sondern Mitglieder des Ensembles, Kündigung heißt Beendigung des Engagements, die Mitarbeiter haben Gagen. Ich sehe keinen Unterschied zwischen Showbusiness und Gastronomie. Das ist unsere Bühne.“

Und welche Rolle im Ensemble spielen Sie?

Klaus Kobjoll: „Im Organigramm stand unter meinem Namen noch nie Unternehmensleitung. Da stand Unternehmensentwicklung. Ich war verantwortlich für Wachstum und für Innovation. Das macht jetzt meine Tochter und seit 5 Jahren bin ich nur noch Markenbotschafter.

Und ich glaube, das ist eine wichtige Kernbotschaft: Führungskräfte und Unternehmer nehmen sich selbst oft viel zu wichtig. Damit ersticken sie jede Eigendynamik im Keim. Und dann wundern sie sich, wenn von unten nichts hochkommt. Das zeigt sich z.B. am KVP, dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess.

Wir haben seit Jahrzehnten zwischen 600 und 800 schriftliche Vorschläge pro Jahr aus unserem kleinen Team. Und die Umsetzungsquoten liegen zwischen 60 und 80 %. Davon können andere nur träumen.

Unsere Mitarbeiter bekommen sofort Bescheid über ihren Vorschlag. In der Regel wird er genehmigt. Bei uns läuft der ganze KVP online. Alle Mitarbeiter sind mit iPads ausgestattet und sehen ständig alle abgegebenen Vorschläge. Sie können auf Ideen voten und sich auch gleich einschreiben, um in der Projektgruppe mitzumachen. Dadurch ist unser KVP zum Selbstläufer geworden.“

Wenn man die Mitarbeiter lässt, kommen sie immer mit Vorschlägen, weil es gibt immer etwas zu verbessern.

Klaus Kobjoll: „So ist es. Und die kompetenteste Person für einen Verbesserungsvorschlag ist immer die Person am Arbeitsplatz und nicht eine Führungskraft, die viel zu weit weg ist. Das kann bei uns der Spüler in der Spülküche sein oder das Halbtagszimmermädchen. Das sind die Leute, die tagtäglich die Arbeit machen. Die wissen am besten, was man verbessern sollte.“

Wird gute Zusammenarbeit irgendwann zum Selbstläufer oder muss man immer daran arbeiten?

Klaus Kobjoll: „Das muss man eigentlich nicht. Man muss sich nicht um jede Kleinigkeit kümmern. Natürlich gibt es immer wieder auch Zoff untereinander, zwischen den Leistungsbereichen, die typischen Schnittproblematiken, zwischen Küche und Service, und Rezeption und Zimmermädchen.

Darum kümmere ich mich gar nicht. Weil ich weiß, es geht nicht ohne Konflikte. Wenn es wirklich einmal schlimm wäre, dann würde sicherlich meine Frau einmal bei einer Tasse Kaffee ein Gespräch führen. Aber das kann ich an einer Hand abzählen.“

Lösen dann Ihre Mitarbeiter im Wesentlichen alle Probleme selbst?

Klaus Kobjoll: „Wenn eine Führungskraft mit einem Problem zu mir kommt, dann höre ich mir das Problem gerne an, aber ich löse es nicht. Ich würde eher sagen: „Du löst deine Probleme, ich löse meine Probleme. Du stehst nicht auf meiner Lohnliste, damit ich deine Probleme löse.“ Das hat etwas mit Verantwortung zu tun.

Für uns ist klar, dass mit der Zusage eine Position zu übernehmen, automatisch auch die volle Verantwortung übergeben worden ist. Ich muss die Verantwortung nicht extra übergeben.

Und jetzt fehlt noch ein wichtiges Detail. Die Mitarbeiter wissen: „Wenn wir Fehler machen, wird uns nicht der Kopf abgerissen.“ Also wir haben eine gute Fehlerkultur. Wobei man unterscheiden muss zwischen Fehlerfreudigkeit ja und Fehlerhäufigkeit nein. Und man muss auch unterscheiden zwischen Routinefehlern und Fehlern, die entstanden sind, weil jemand etwas Neues ausprobiert. Letzteres muss man fördern.

Tom Peters sagte einmal: Bestrafen Sie mittelmäßige Erfolge und belohnen Sie fulminante Fehlschläge. Daraus ist bei uns ein Ritual entstanden, das es inzwischen schon 15 Jahre gibt. Wir wählen den Fehler des Monats oder den Fehler des Quartals. Wir trinken mit demjenigen ein Glas Champagner und bedanken uns für den Mut, den es gebraucht hat, etwas Neues auszuprobieren. Innovation in einem Unternehmen ist ohne Fehlerkultur nicht möglich.

Mit so einem Ritual verlieren die Mitarbeiter die Angst, Fehler zu machen. Das war auch ein Prozess. Es hat vielleicht 1-2 Jahre gedauert, bis wir gespürt haben: Jetzt sind sie nicht mehr so verkrampft, jetzt trauen sie sich auch mal über ihren Schatten zu springen.“

Also das Leitbild, die Auswahl der passenden Mitarbeiter, eine gute Fehlerkultur und Verantwortung übernehmen sind wichtig.

Klaus Kobjoll: „Und jetzt fehlt noch ein wichtiger Baustein: radikale Transparenz. Bei uns haben alle Mitarbeiter, auch die Lehrlinge, früh morgens um 6 Uhr auf ihren iPads die Umsätze des laufenden Monats einschließlich gestern Abend. Totale Transparenz.

Ich mache regelmäßig Besprechungen der BWA. Ich erkläre allen Auszubildenden die betriebswirtschaftliche Auswertung, vom Umsatz bis zum vorläufigen Ergebnis. Sie sollen jede Kostenart kennen und verstehen und so ein Gespür dafür bekommen, was es heißt unternehmerisch zu denken.

Wenn Mitarbeiter nicht alle Informationen erhalten, können sie auch keine Verantwortung übernehmen. Und umgekehrt: Wenn sie alle Informationen haben, können sie nicht umhin, die volle Verantwortung zu tragen. Wenn ich alle Zahlen kenne, muss ich nicht fragen, ob ich 30000 Euro investieren kann. Das weiß die Führungskraft selbst, wann es geht und wann nicht.

Ich habe auch ein paar Jahre gebraucht, bis ich bereit war, diese Transparenz komplett zuzulassen.

Nur auf Führungsebene?

Klaus Kobjoll: „Alle Mitarbeiter. Das ist inzwischen alles digitalisiert. Jeder Lehrling, jedes Zimmermädchen kennt die Zahlen. Und alle kennen auch die Ziele, qualitative wie quantitative Ziele.

Und um unsere hohen Ziele zu erreichen, schulen natürlich auch sehr viel. Wir haben eine eigene Akademie. Den Mitarbeitern stehen zwischen 40 und 50 Seminare jedes Jahr zur Verfügung. Das kann sich eine kleine Firma nur leisten, weil die gesamte Weiterbildung in der Freizeit stattfindet. Also ich würde mich weigern, mit Leuten zu arbeiten, die denken Weiterbildung sei Arbeitszeit. So tragen beide Partner zur Weiterentwicklung bei. Der eine übernimmt die Kosten der andere die Zeit.

Vielen Dank, lieber Herr Kobjoll.

Klaus Kobjoll hat 1984 das Landhotel Schindlerhof eröffnet. Er baute den Schindlerhof gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter konsequent zum Tagungszentrum aus. Das Hotel erhielt mehrere Auszeichnungen als bestes Tagungshotel und als bester Arbeitsgeber in der europäischen Hotellerie. Neben seiner Tätigkeit als Hotelier gibt er seine Erfahrungen in Seminaren und Vorträgen an mittelständische Unternehmen und Konzerne weiter.

Wie sieht Ihre Unternehmenskultur aus? Wie bringen Sie Ihre Kultur zum Schwingen?