Auf meiner Recherchetour rund um eine wertschätzende Unternehmenskultur bin ich Carola Böhme begegnet. Carola Böhme leitet bei Ernst & Young den Bereich Business Development für die größten Kunden Außerdem pflegt sie eine ganz besondere Sportart: Kinomichi. Kinomichi gehört zu den martial arts und ist eine Bewegungs-KUNST. Ein Gegner wird zum Partner. Ein Angriff löst sich im gemeinsamen Kontakt auf. Das hat mich neugierig gemacht. Was können Unternehmen von dieser „Kampf“-Kunst lernen?
Liebe Carola, du widmest dich schon seit Beginn deines Studiums der Kampfkunst. Wie bist du dazu gekommen?
Carola Böhme: „Als ich noch Schülerin war hatte ich Probleme mit dem Rücken und musste etwas tun. Schwimmen war damals die beste Option, also habe ich damit begonnen. Ich habe es dann sogar als Leistungssport betrieben und viermal pro Woche trainiert. Irgendwann wurde das aber uninteressant. Irgendetwas fehlte, etwas was Körper, Geist und Seele – wenn man es so ausdrücken will – verbindet. Es fehlte mir ein ganzheitlicher Ansatz.
Also schaute ich mich bei anderen insbesondere bei den asiatischen Sportarten um. Da gab es diverse Kampfsportarten. Bei manchen waren unter den Trägern des schwarzen Gürtels nur 1 % Frauen. Mir war klar, da hole ich mir nur eine blutige Nase. Beim Aikido tragen immerhin 1/3 der Frauen den Schwarzgurt. Also habe ich mit Aikido angefangen.“
Was ist das Besondere an dieser Sportart?
Carola Böhme: „Es ist gar nicht unbedingt nur beim Aikido so. Bei all diesen Sportarten übst du immer wieder die Grundlagen – immer wieder – auch wenn du schon fortgeschritten bist. Zum Beispiel gibt es beim Aikido eine Übung: jemand kommt mit dem Schwert auf dich zu. Dein Partner holt mit dem Schwert aus und du musst nach vorne, auf ihn zu und nur etwas auf die Seite, nur einen kleinen Schritt. Das kostet erst einmal Überwindung. Eigentlich hast du den Impuls nach hinten auszuweichen. Aber du musst nach vorne. Und der Meister sieht genau, wohin du willst. Noch bevor du dazu ansetzt, ruft er „Vorwärts!“ Und du trainierst das, bis du es verinnerlicht hast. Bis du ganz automatisch nach vorne gehst, statt nach hinten auszuweichen.“
Das klingt nach einem ganz besonderen Training: Sich nicht dem natürlichen Reflex auf einen Angriff hingeben, sondern den Angriff wahrnehmen und ihn dann mit dem trainierten Können meistern. Das hat doch sicher auch Auswirkung auf das normale Leben, auch auf die Arbeitswelt.
Carola Böhme: „Nun ich weiß nicht, was zuerst da war. Denn diese Sportarten ziehen auch bestimmte Menschen an. Es ist vielleicht eine Wechselwirkung. Ich habe viel im Vertrieb gearbeitet und manchmal zieht sich eine Akquisition über zwei Jahre hin. Da heißt es dranbleiben. Sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen. Dranbleiben (nach vorne gehen), etwas durchziehen und das auch gegen Widerstände. Diese Eigenschaft/Haltung wird durch so ein Training sicher noch verstärkt.“
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Und wie bist du dann zu Kinomichi gekommen?
Carola Böhme: „Mein japanischer Aikido-Meister (Katsuaki Asai, 8. DAN, D’dorf) hat seinen Freund Masamichi Noro (Paris) zu einem Lehrgang eingeladen, damit dieser seine neue Entwicklung des Aikidos vorstellen kann.
Meister Noro lebte und arbeitete in Paris. Nach einem schweren Autounfall 1966 war er nahezu halbseitig gelähmt. Die klassische Medizin hat ihn fast aufgegeben, aber mit seinem Wissen aus dem Osten und speziellen Körperansätzen des Westen, die einen ganzheitlich Ansatz verfolgen, hat er sich wieder hergestellt. Unter diesem Zusammenspiel östlicher und westlicher Körperarbeit ist etwas Neues entstanden. Es ist natürlich noch mit dem Aikido verwandt, ist aber doch so anders, dass er dafür einen eigenen Namen fand: Kinomichi, der Weg der Energie. Er hat sich letztendlich vollständig wiederhergestellt.
Kinomichi ist der Weg der Energie. Es ist darauf ausgerichtet, die eigene innere Energie frei zu setzen und so wirken die Bewegungen auf Dritte leicht, anmutig, fließend – ja fast tänzerisch. Es ist eben auf den körperlich-energetischen Fluß ausgerichtet.
Viele von uns wechselten nach diesem Lehrgang vom Aikido zum Kinomichi. Mein in Deutschland lebender Aikido-Meister ist bei seinem Aikido geblieben, und hat über die Jahre den einen oder anderen Ansatz seines besten Freundes integriert und sogar einige Elemente aus dem Kinomichi übernommen.
Ich war vor kurzem bei einer Jubiläums-Veranstaltung von einem Sportverband. Dort wurden unterschiedliche Aikido Stile präsentiert und geübt. Und obwohl ich die allermeisten Bewegungen beherrsche, habe ich mich am Ende nicht gut gefühlt. Beim Kinomichi geht es mir da ganz anders, da geht man mit einem Strahlen im Gesicht (und erschöpft) von der Matte.“
Das klingt spannend. Was macht man bei Kinomichi anders?
Carola Böhme: “Nun es gibt eine ganze Reihe von Prinzipien. Das eine ist „von Herz zu Herz“. Du begegnest dem Partner mit dem Herzen und bleibst in Kontakt. Du schaust deinen Partner an. Aber du schaust den Partner nicht nur an, du nimmst ihn wahr – vielleicht genauso gut wie dich selbst. Du spürst, wenn z.B. eine Bewegung nicht möglich ist, und suchst dann einen anderen Weg.
Es ist so wertvoll sowohl im Kinomichi oder auch als Führungskraft, den anderen so wahrzunehmen. Du kannst deinen Partner oder eben deinen Mitarbeitern aktiv unterstützen, Schritt für Schritt weiter zu kommen. Du gibst neue Herausforderungen und weißt genau, wann Hilfestellung oder eine andere Vorgehensweise nötig ist. Es darf auch mal etwas nicht klappen. Aber dann wurde immerhin ein neuer Raum betreten. Der andere hat sich eingelassen und darauf kannst du dann aufbauen.
Was für Führungskräfte auch wichtig ist: Wenn du im Kinomichi z.B. mit den Händen in Kontakt gehst, dann nicht nur mit den Fingern sondern auch mit dem ganzen Handteller. Du legst deine Hand auf die Hand des anderen und führst den Partner damit. Es ist nicht nötig zuzugreifen oder zu ziehen. Ein dichter eindeutiger Kontakt mit der ganzen Handfläche genügt. Und der Partner spürt diesen Impuls, die Richtung und kann darauf reagieren. Nur den Arm ausstrecken und sagen (oder denken) „Nun mach mal“. Das funktioniert nicht. Diese hierarchische Haltung im Sinne von „ich bestimme wo es langgeht“ ist schon lange nicht mehr zeitgemäß.
Das gibt es in Unternehmen auch oft, dass manche sagen: „Ok, jetzt mach mal. Ich bin gespannt, ob du das schaffst.“
Carola Böhme: „Ja und das klappt leider nur sehr bedingt. Exzellente Leistung kann man am besten im gemeinsamen Zusammenspiel bewirken.
Im Kinomichi ist es immer eine direkte Begegnung von zwei oder mehr Menschen, die sich gegenseitig wahrnehmen und miteinander diese Begegnung gestalten. Und daraus entsteht etwas Drittes, etwas Gemeinsames, etwas Neues. Auch das ist ein wichtiges Prinzip des Kinomichi.“
Das ist ein wunderschönes Prinzip. Kann man das auch auf den Alltag übertragen?
Carola Böhme: „Das ist gar nicht so leicht, aber wir – Kinomichi Deutschland – haben es versucht und es scheint zu gelingen. Meister Noro lebt nun nicht mehr. Er sagte aber, ihr müsst mein Kinomichi nehmen und es weiterentwickeln, es zu euren machen. Nun sind wir alle sehr gut trainiert, uns auf den anderen einzustimmen. Und dennoch gab es auch in unseren Reihen Unstimmigkeiten und Eitelkeiten. Aber letztendlich sind wir mittendrin diese zu überwinden. Das zeigt sich z.B. in unserem gemeinsamen Internetauftritt. Alle Dojos in Deutschland sind hier unter einem Dach. Das haben die anderen Länder (noch) nicht. In Frankreich sind die Bedingungen besonders schwierig, obwohl dort die Wurzel des Kinomichi ist.
Die Übertragung des Gelernten auf andere Lebenssituationen will auch geübt sein. Da hilft es, das eigene Handeln immer wieder zu reflektieren und an den Prinzipien zu messen.“
Vielen Dank, liebe Carola, für dieses wunderbare Gespräch.
Carola Böhme begann bereits 1980 mit Aikido und kam nur wenige Jahre später in Kontakt mit Kinomichi. Seither nutzte sie jede Gelegenheit, nach Paris zu fahren um mit Meister Noro zu trainieren. Mangels Übungsmöglichkeit in München gründete sie die Münchener Kinomichi-Gruppe und leitet diese seit 2010 an. Um sich selbst weiterzuentwickeln und das Training in München zu bereichern, nimmt sie jeden Monat an großen Kinomichi-Lehrgängen in Paris oder anderswo teil.
“Körper, Geist und Seele gleichzeitig in Bewegung zu setzen, das hat mich an
den asiatischen Budo-Künsten immer fasziniert. Im Kinomichi sind es besonders die Leichtigkeit, der achtsame Umgang untereinander, die feine Annäherung und Verschiebung der eigenen Grenzen, was mich begeistert. Das “Sich-Öffnen” in der Bewegung hat mir neue Räume und eine ganz eigene Flexibilität über den Körper hinaus ermöglicht. Kinomichi ist für mich wie „Aikido 2.0“ und ist zu einer ganz eigenen, persönlichen Herzensangelegenheit geworden.”
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