Auf meiner Recherchetour rund um eine Unternehmenskultur, die Kreativität zuläßt, bin ich Dr. Marcus Raitner begegnet. Marcus ist Projektleiter aus Leidenschaft. Er schreibt regelmäßig über die Themen Führung und Projektmanagement in seinem Blog: „Führung erfahren – Zusammenarbeit gestalten auf Augenhöhe“. Wie das in der Praxis aussieht, wollte ich von ihm erfahren.
Marcus, du sagst „Führen heißt dienen“. Wie sieht das im Alltag aus? Was machst Du als Projektleiter anders als ein Manager der alten Schule? Was ist das Besondere an deinem Führungsstil?
Dr. Marcus Raitner: „Meine Aufgabe als Projektleiter und Führungskraft ist es, Menschen gute Arbeit und Zusammenarbeit zu ermöglichen. Dazu gehört es für mich die Menschen, das Team und ihre Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen. Weder verliere ich mich im Micromanagement (vgl. nicht-an-den-radieschen-ziehen) noch will ich meine beste Fachkraft sein, was viele Projektleiter leider oft sind. Mein Ziel ist es letztlich, mich überflüssig zu machen (sich-entbehrlich-machen). Das ist im Alltag nicht immer einfach. Einerseits weil nicht alle Mitarbeiter mit diesem Maß der Eigenverantwortung umgehen können (jedenfalls noch nicht) und andererseits, weil hierarchische, tayloristische Organisationen vom allwissenden Manager ausgehen und diese Rolle auch so erwarten.“
Du bist Mitinitiator der PM-Camp Bewegung. Ein PM-Camp ist eine Unkonferenz, bei der die Teilnehmer darüber entscheiden, wer eine „Session hält“. Inwieweit lässt sich dieser Ansatz auf modernes Projektmanagement übertragen?
Dr. Marcus Raitner: „Der Grundgedanke bei PM Camps und Bar Camps im allgemeinen ist ja, dass die die kommen die richtigen sind und eigenmotiviert die richtigen Themen mitbringen. Es geht darum einen Rahmen zu schaffen, in dem Gutes aus der Interaktion der teilnehmenden Menschen entstehen kann. Genau darum geht es doch im Projektmanagement auch.“
Angenommen, du leitest ein Projekt mit 100 Mitarbeitern, dann kommst Du nicht ohne Strukturen aus. Welche Strukturen hast Du in einem nicht hierarchisch geführten Projekt? Und wie werden diese Strukturen definiert? Im Miteinander aller Mitarbeiter?
Dr. Marcus Raitner: „Hierarchie ist ja nur eine Form der Struktur, wenn auch die bekannteste. Pauschal lässt sich darauf jetzt keine Antwort geben, weil es stark von der Struktur des Projekts und des Projektgegenstands abhängt. Es ist etwas anderes mit 100 Menschen ein Raumschiff zu bauen als mit 100 Menschen Logistiksoftware auf 20 Standorte auszurollen. Als Alternative zur Hierarchie bieten sich autonome miteinander vernetzte Teams an. Viele nicht-hierarchische Organisationen sind in Form von unabhängigen und autarken Teams aufgebaut, z.B. die niederländische Heimpflege Buurtzorg (vgl. selbstorganisation-wissensarbeiter). Für den initialen Entwurf einer solchen Struktur, gerade wenn sie komplett anders ist als bisher gewohnt, braucht es starke Führung im Sinne von Gestaltung. So früh wie möglich muss dann aber die Gestaltung und Verbesserung der Zusammenarbeit im Sinne der Selbstorganisation in die Hand der beteiligten Menschen übergehen: Sie müssen zur Arbeit am System ermächtigt werden (vgl. ermaechtigung-zur-arbeit-am-system).“
Du empfiehlst zukünftigen Projektleitern zwei Ausbildungen: Einmal klassisches und einmal agiles Projektmanagement. Was ist der Hintergrund dieser Empfehlung?
Dr. Marcus Raitner: „Ich habe eine Abneigung gegen Patentrezepte und verkaufe auch keine. Die einzig richtige Projektmanagement-Methodik gibt es nicht und kann es nicht geben. Jedes Projekt in dem jeweiligen Umfeld mit den daran beteiligten oder auch nur davon betroffenen Menschen ist einzigartig und verdient es auch so geführt zu werden: einzigartig. Dazu muss ich als Projektleiter sämtliche Facetten der Führung von Projekten beherrschen um dann eine jeweils passende Ausprägung zu finden.“
Vielen Dank, lieber Marcus
Dr. Marcus Raitner ist Projektleiter und IT-Referent in der BMW Group und leidenschaftlicher Blogger zum Thema Projektmanagement und Führung.
Er ist Mitinitiator der PM Camp Bewegung und Mitorganisator des sehr erfolgreichen PM Camps in Dornbirn, wo er 2011 openPM ins Leben rufen konnte. Seither finden auf openPM Projektmanager und alle, die an Projekten arbeiten, Rat, Hilfe und Unterstützung für die täglichen Belange ihrer Projektarbeit. Hier diskutieren sie Erfahrungen und vertiefen Kenntnisse. Es entstehen gemeinsam neue Lösungen und Methoden, die der Allgemeinheit frei zur Verfügung stehen.
Hinterlasse einen Kommentar