Auf meiner Recherchetour rund um wertschätzende Unternehmenskultur bin ich Frank Tiefel begegnet. Frank Tiefel ist verantwortlich für die Organisationsentwicklung bei der PSD-Bank in Nürnberg. Er ist mit seiner Abteilung Vorreiter und geht immer einen Schritt voraus, um die Organisation weiterzuentwickeln. Inzwischen ist sein Team bei Selbstorganisation mit einer Mischung aus Holokratie und SCRUM angekommen. Das hat mich neugierig gemacht: Selbstorganisation in einer Bank – Wie geht das?

 

Lieber Frank, um organisatorische Veränderungen zu verstehen, ist es wichtig, erst einmal die Situation zu verstehen. Was hat sich bei euch verändert, dass ihr euch auf den Weg zur Selbstorganisation begeben habt?

Frank Tiefel: „Banken sind stark im Umbruch. Die Digitalisierung ist enorm. Früher war der Zahlungsverkehr die größte Abteilung, heute ist es die IT-Abteilung. Viele einfachere Tätigkeiten sind weggefallen und das ist gut so. Wer sagt, dass es ihm Spaß macht, Daten zu erfassen, sorry, dem glaube ich nicht. Gleichzeitig nimmt die Komplexität zu und damit brauchen wir ganz andere Tools.

Für uns ist im Moment unsere Prozessdokumentation ein wichtiges Thema. Früher haben wir mit der sogenannten swimlane-Technik dokumentiert und jetzt verwenden wir BPMN 2.0 (Business Process Model and Notation 2.0) Damit können wir komplexe, wertschöpfende Prozesse abbilden und schaffen eine höhere Transparenz z.B. für Nachrichtenflüsse vom und zum Kunden.“

 

Selbstorganisation und Bank – Im ersten Moment hatte ich den Gedanken, dass das doch meilenweit auseinander liegt. Wie ist das entstanden?

Frank Tiefel: „Meine Abteilung ist so eine Art Quell. Wir probieren neue Dinge aus. Natürlich müssen die Mitarbeiter auch reif dafür sein. Wir sind nicht sofort auf die Selbstorganisation gesprungen. Die innere Haltung und Reife müssen dazu passen. Ich habe also nicht gesagt: Wir machen das jetzt.

Wir waren Ende letzten Jahres auf einem gemeinsamen Workshop und haben strukturiert an unserem Zielbild gearbeitet. Wir haben dabei auch besprochen, wie wollen wir eigentlich arbeiten?

In diesem Zielbild kam für mein Team heraus: ‚Wir wollen mehr Verantwortung übernehmen. Wir sind als Team dazu bereit.‘ Und dann haben wir gemeinsam beschlossen, eine andere Organisationsform auszuprobieren. Wenn das Team mehr Verantwortung übernehmen will, warum soll ich dann Entscheidungen treffen. Rechte und Pflichten in einer Rolle müssen ausgewogen sein. Das Team wollte die holokratische Organisation ausprobieren. Es ist nicht rein holokratisch, aber wir nähern uns dem immer mehr an.“

 

Bei der Holokratie sind die Entscheidungen beim Team, dennoch bist du noch der Teamleiter? Wie gehst du damit um?

Frank Tiefel: „Wenn ich eine Entscheidung des Teams nicht verstehe oder selbst anders entschieden hätte, dann kann ich zwar sagen: ‚Das finde ich nicht gut.‘ Ich kann auch sagen, warum ich das nicht gut finde. Aber wenn es nicht um Leben und Tod geht, und das sind die wenigsten Entscheidungen, dann respektiere ich die Entscheidungen des Teams.

Ich bin derjenige, der Einwände sehr gut begründen muss. Erst mal versuche ich zu verstehen, warum das Team zu einer Entscheidung gekommen ist. Es ist schließlich möglich, dass das Team alles abgewogen hat und deshalb zu der Entscheidung gekommen ist. Sie haben vielleicht Aspekte berücksichtigt, an die ich noch gar nicht gedacht habe.

Manager glauben auch heute noch oft, sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen. In unserer heutigen Zeit mit immer schnelleren Veränderungen ist es aber nicht so. Ich kann nicht alles wissen. Auch das Erfahrungswissen ist immer weniger wert, also muss ich mir möglichst viele Meinungen einholen.“

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Bei der Holokratie darf jeder alles entscheiden. Wie handhabt ihr das?

Frank Tiefel: „Meine Rolle als Führungskraft im Sinne von Ermöglicher ist es, Leitplanken festzusetzen und zu sagen: Schaut mal, die Leitplanke ist noch ein Stück weiter. Ihr seid noch nicht an die Leitplanke gefahren. Wenn ich merke, dass ihr an die Leitplanke kommt und der Rahmen für euch zu eng wird, dann können wir darüber reden, die Leitplanke noch ein Stück zu versetzen. Aber nutzt doch erst einmal den vorhandenen Spielraum. Damit kann das Team auch sehr gut umgehen.

Im Rahmen der Leitplanken kommt es schon vor, dass mein Team nur informiert gar nicht erklärt oder rechtfertigt. Wenn ich den Mitarbeitern die Entscheidungsverantwortung gebe, dann muss ich damit leben.

Und natürlich fällt das Team auch mal hin. Da muss man manchmal Geduld haben. Nach außen habe ich breite Schultern. Ich kann das mittragen.“

 

Wie stellt ihr sicher, dass das selten passiert?

Frank Tiefel: „Wir hinterlegen das mit vielen Methoden. Wir haben z.B. täglich unser Standup-Meeting. Diejenigen, die da sind, nehmen teil und klären was gerade ansteht. Im Normalfall brauchen wir 5 – 10 Minuten. Damit weiß jeder, was der andere macht und wo er Hilfe braucht. Wir unterstützen uns gegenseitig extrem und viel mehr zielorientiert als wir das früher gemacht haben.

Wir arbeiten in agilen Sprints. D.h. neben dem „daily standup“ planen wir alle 8 Wochen den nächsten Sprint. Am Ende machen wir ein Review. Wir fragen uns: Wie haben wir das Thema durchgebracht? Wie ist es insgesamt gelaufen? Wieviel Aufwand war es?

Außerdem machen wir eine Retrospektive, in der wir schauen, wie wir zusammengearbeitet haben. Was ist gut gelaufen? Was hätte ich mir gewünscht? Wo haben wir Verbesserungsbedarfe? Wo bin ich richtig glücklich im Team?

Damit haben wir den Regelkreis abgeschlossen. Die Teammitglieder wissen genau, welche Themen in den nächsten 8 Wochen anstehen. Wer in Urlaub oder auf einem Seminar ist, ist dabei auch schon berücksichtigt. Wie planen so, dass es machbar ist. Und das haben wir jetzt durch Holokratie mit der Eigenverantwortung und der Achtsamkeit dem anderen gegenüber verbunden. Es gibt eine gemeinschaftliche Verantwortung für die Zielerreichung.“

 

Du hast gesagt: Jeder muss die innere Haltung und Reife haben, bevor man Selbstorganisation machen kann. Wie habt ihr daran gearbeitet?

Frank Tiefel: „Das sind viele kleine Maßnahmen. Zum Beispiel hat jeder sein HBDI-Profil[1] erstellt. Das ist eine Denkstil-Analyse: Bist du mehr Blau, Gelb, Rot, Grün? Jede Farbe steht für eine andere Ausprägung. Wir saßen dann mit unseren Profilen zusammen. Ich habe mein Profil in die Mitte gelegt. Du kannst es offenlegen. Alle vier Farben repräsentieren bestimmte Stärken und am besten ist es, wenn im Team alle Stärken vertreten sind.  Nachdem ich mein Profil offen gezeigt habe, haben die anderen ihr Profil auch darübergelegt. Wir haben dadurch gesehen, wie wir als Team aufgestellt sind. Wir sind heterogen. Das was uns eint, ist das gemeinsame Ziel, das wir verfolgen.

Meine Kollegin sagt dazu: Das ist ein ganz starker Hebel, wenn das Team mit den Stärken der anderen arbeitet.  Sie wissen jetzt ganz genau, wenn es um das Analytische geht, dann müssen wir Christine dazu holen, bei Organisatorischem brauchen wir Stefan und das Ganzheitliche beachtet Patricia und wenn wir in das Menschliche reingehen, dann gehen wir zu Kerstin. Sie wissen jetzt, wie sie ticken, deshalb können sie besser miteinander umgehen.

Ich wusste vorher nicht, wie sich das entwickelt. Letztendlich war es für uns alle wirklich ein Gewinn.

Eine weitere Maßnahme ist unsere sogenannte Teamzeit, in der wir uns aus dem operativen Geschäft zurückziehen und genau solche Dinge zu tun, wie z.B. über das HBDI-Profil zu reden und zu überlegen, was denn die nächsten Schritte wären.“

 

Ihr seid als Team ja inzwischen sehr weit. Wo steht der Rest des Unternehmens und wie geht es weiter?

Frank Tiefel: „2016 bin ich hier ins Haus zurückgekommen. In dieser Zeit haben wir alles auf den Prüfstand gestellt. Wir haben festgelegt, dass wir ganz viel ändern wollen und dafür sind die Führungskräfte unser Hebel. Wir haben gute Führungskräfte im Haus, aber wir haben uns vorher nicht explizit um Führung gekümmert und viel mit Intuition geführt.

Also haben wir beschlossen: Wenn Führungskräfte unser Hebel sind, dann müssen wir die Führungskräfte auch befähigen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob ich ein geradliniges Geschäft manage oder durch einen Veränderungsprozess führen muss.

Unser gemeinsames Führungskräfteentwicklungsprogramm vom Vorstand über die Abteilungsleiter bis zu den Teamleitern haben wir Führungsreise genannt. Es ist eine Reise für jeden von uns.

Am Anfang konnte sich keiner vorstellen, was hieraus erwächst. Ich war durchaus skeptisch, ob der eine oder andere überhaupt mitmacht. Manche sind tatsächlich abgesprungen. Sie wollten diese Veränderung nicht mitmachen. Inzwischen hat sich ganz viel verändert, in der Sprache, in der Führungswirkung, in der Konsequenzkultur.

Zwei Kernelemente unserer Führungskultur sind das Performer-Modell und die Bodenpunkte.

Beim Performer-Modell stellen wir die Aufgabe in den Mittelpunkt und stellen die Frage: Wo steht ein Mitarbeiter z.B. beim Präsentieren im Hinblick auf Wollen und Können? Daran kannst du sehr schnell sehen, wo er sich hinentwickeln kann. Das ist eine gute Voraussetzung für eine Personalentwicklungsplanung, wobei jeder Mitarbeiter sein eigener Personalentwickler ist und die Führungskraft ihn oder sie dabei unterstützt.

Bodenpunkte sind ein wichtiges Führungstool, das nicht verhandelbar ist. Bodenpunkte sind die Anforderungen, die mindestens erfüllt sein müssen, damit eine Aufgabe überhaupt erledigt werden kann. Führungskräfte müssen sich sehr klar darüber werden, was die jeweiligen Bodenpunkte sind und damit ganz klar Prioritäten setzen. Weniger sind mehr, denn sonst kommt man schnell in die Situation, dass alles wichtig ist, und dann ist nichts mehr wichtig.

Wir hatten dieses Jahr eine Abschlussveranstaltung zu unserer Führungsreise. Die Art wie Führungskräfte jetzt über Führung reden, hat sich stark verändert. Führung auf Augenhöhe wird immer mehr thematisiert. Damit haben wir ein wichtiges Ziel erreicht, aber auch das ist nur ein Zwischenschritt.

Was wir jetzt im Team erarbeiten, das werden wir den anderen nicht überstülpen. Vielleicht kommt ja der eine oder andere auf uns zu und fragt, wie wir das machen. Wir wollen also mehr als Influencer wirken und durch unser Beispiel andere inspirieren.“

 

Viel Erfolg dabei und vielen Dank für dieses spannende Gespräch, lieber Frank!

[1] Eine HBDI-Denkstilanalyse ist ein Tool für Potenzialanalyse, Persönlichkeits-, Team und Unternehmensentwicklung.

Frank Tiefel ist Organisationsentwickler bei der PSD-Bank in Nürnberg. Sein Ziel ist es, von Führungsstrukturen mit „Schulterklappen“ immer mehr wegzukommen. Dabei ist er mit seinem Team Vorreiter und gutes Beispiel für andere.